Stefan Schwarz' Kolumne im Magazin

Dieses sind ein paar der monatlichen Artikel von Stefan Schwarz im Magazin. Um ehrlich zu sein: Obwohl auf der letzten Seite gedruckt, lese ich diesen Artikel immer zuerst… Mehr über Stefan Schwarz im Magazin und Stefan Schwarz als Buchautor. Viel Vergnügen beim Lesen!

Hang zum Fummel New!
Stefan Schwarz surft sich Dessous-Geschenken entgegen
Haarsche Töne
Stefan Schwarz trifft auf einen Frisurenopferbund
Der Heimweg als Martyrium
Stefan Schwarz über antiorthopädische Trippelschritte mit Kleinkindern
Vor Neid zerknittert
Stefan Schwarz zürnt dem sprachgesteuerten Gigaplasma-Schwager
Als ich noch ein Feuerwerk war
Stefan Schwarz denkt über »Früher hast du noch…«-Sätze nach.
Überall Spätreifer und Kümmerlinge
Stefan Schwarz über die Lust von Eltern, ihr Kind ständig , heimlich mit anderen zu vergleichen
Der letzte Käsefaden
Stefan Schwarz muß über die Einheitsfront der Eltern nachdenken
Familienfrühstück
Stefan Schwarz sinniert über Stubenarrest bis zur Volljährigkeit und coole Sonnenbrillen
Grüne Farbe für Nachbars Hund
Stefan Schwarz stellt fest, daß Streiche heutzutage selten und kostbar geworden sind
Die Trollkriegerin
Stefan Schwarz über den Versuch, sein geliebtes, mit Schrauben angereichertes Düsentriebwerk ins Bett zu bringen
Unordnung macht glücklich
Stefan Schwarz über Immanuel Kant und die exquisite Sinnlosigkeit des Reinemachens
»Du bist für mich Luft«
Stefan Schwarz bekennt sich zur Beziehungsroutine und bekommt einen Waschlappen ins Gesicht
Glatzenlüge
Stefan Schwarz fühlt sich als Löwe ohne Mähne
Vorbestrafte Blicke
Stefan Schwarz hat das Gefühl, daß man Kindern nicht zu viele Fragen beantworten sollte
Spielwut
Stefan Schwarz liebkost seine Frau und wirft nur manchmal mit Schuhen
Die Zornkönigin
Stefan Schwarz probt die Ganzfütterung, wird zum Krokodil und bringt seine Frau zum Seufzen
»Die müßten mal Kinder kriegen«
Stefan Schwarz geißelt die unwürdige Behandlung kranker Männer
Lange Unterhosen in Öl
Stefan Schwarz kann auf spontane Fortpflanzungsangebote verzichten

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Hang zum Fummel

Stefan Schwarz surft sich Dessous-Geschenken entgegen

IM INTERNET AUF MIEDERSUCHE. Walking trough a Winterwonderbraland. Ich hätte die Cookies deaktivieren sollen. Nun aber petzt die Webseite: Kunden, die sich für Formslips mit Bauchstraffer interessieren, interessieren sich auch für Couchtische mit Glaseinlage. Das wußte ich nicht. Macht aber Sinn. Klingt nach Bürokauffrauendrama. Volle pulle Streß übers Jahr, kaum Pausen. Alles nur, um das Geld für diesen entzückenden Couchtisch mit Glaseinlage zu verdienen. Immer schnell mal einen Schokoriegel oder ein Marzipanhörnchen oder ein paar Kekse zwischen zwei Meetings, und das hat sie nun davon. Vorm Spiegel: Zweifingerdick feinen, weißen Wabbel angesetzt. Was, wenn der Mann nach dem weinseligen Abend am tollen neuen Couchtisch zur ehelichen Pflicht schreiten möchte? Wie steht sie denn dann da? Ohne Formslip! Also mitbestellt.

Doch zu kurz gedacht. Denn bei Figurwäsche fällt zum Schluß ja alles wieder auseinander. Du gehst mit Madonna ins Bett, und nach drei Handgriffen liegt Marianne Sägebrecht vor dir. Das werde ich nicht kaufen. Hat meine Frau auch gar nicht nötig. Wenn jemand das Gesäß meiner Liebsten formt, dann nur des Endunterzeichnenden starke Hand. Aber irgendein Dessous wäre schon schön. Die Mutter meiner Kinder zeigt eine feine, womöglich bald einmal feingerippte Tendenz zur reinen Tragbarkeit, der es weihnachtsgeschenkehalber entgegenzuwirken gilt.

Klicken wir also frohgemut nach vorn. Kunden, die sich tür String-Tangas mit einem Strass-Stein-Plavboy-Bunny interessieren, interessieren sich auch für koreanische Wasserfallbilder, Lavalampen und Satinbettwäsche in Tigerfelloptik. Nein, so einer bin ich nicht. Oder doch? Bin ich womöglich innendrin a bissel schlicht, ein Geschmacksprolet mit Hang zum Luderfummel, der nach der Geburt im Krankenhaus vertauscht und dann vergeblich von Zwölftonmusikanten und Experimentallyrikern aufgezogen wurde? Das würde einiges erklären. Aber ich möchte eigentlich nicht von Versandhauswebseiten auf meine versteckten Vorlieben hingewiesen werden. Wozu verstecke ich sie sonst?

Ich überlege, ob ich zwischendurch einmal auf Kukident, Diddlmaus-Schlüsselanhänger oder einen Schwulencomic von Ralf König klicken sollte, um das System zu verwirren. Aber hier isses doch: Kunden, die sich für diesen wunderschönen weinroten BH mit Jaquardspitze entschieden haben, haben sich auch für einen gleichfarbigen Slip entschieden. Hier kauft die farbliche Einheit in Freiheit ein. Zu euch will ich gehören.

Aber welche Cup-Größe soll ich anklicken? Und wieso Cup? Ich weiß nicht, am Ende welcher Bacchanalien die Engländer darauf verfallen sind, die weibliche Brust in unterschiedlich großen Tassen und Pokalen auszumessen, aber ich kenne Engländer und -innen unter Alkoholeinfluss, und, ehrlich gesagt, die machen so was. (Das deutsche »Körbchen« muß man dagegen grundsolide im Arbeitstag verorten, klingt doch stark nach Feldfruchtbarkeit und, na ja, Selbstpflücke.)

Muß eben doch mal zum Kleiderschrank und nachgucken. Mit spitzen Fingern in die Schublade. Man will ja nicht bemerkt oder gar beargwöhnt werden. Was ist eigentlich das hier unter den Teilen? Sieht aus wie… eine Lavalampe.

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Haarsche Töne

Stefan Schwarz trifft auf einen Frisurenopferbund

Frisurenopferbund SELTEN GESCHIEHT ES, daß ich nach Hause komme und jemanden in der Küche sitzen sehe. Meistens kommt jemand nach Hause und sieht mich in der Küche sitzen. (Der Grund ist bedrückend unkomplex für einen Dichter: Ich halte mich einfach gerne in der Nähe von Lebensmitteln auf.) Diesmal aber hockten gleich drei Frauen in unserer Küche und hielten einander voll Mitgefühl die Hände. »Tach, Frau«, begrüßte ich die meine mit der schnörkellosen Herzlichkeit schon länger bekannter Partner und wandte mich dann an die betroffen dreinschauenden Freundinnen: »Was'n mit euch los?« »Er sieht es nicht einmal!«, schrie die eine auf und warf ihr Gesicht in die Hände, während mich die andere bitter fragte: »Fällt dir denn nichts an Suse auf?« Ich warf einen Blick auf Suse, deren Antlitz langsam und wehklagend aus den Händen wieder auftauchte.

»Sie wirkt irgendwie älter, abgelebter, verbrauchter!«, begann ich eine meiner viel zu selten verlangten, unbestechlichen Gesamteinschätzungen, deren weiterer analytischer Tiefgang allerdings in einem Kreischen unterging, aus dessen Durcheinander man mit einiger phonetischer Sachkenntnis die Worte »Sie war beim Friseur!!!!« heraushören konnte.

Meine Frau zupfte in hysterischer Überdeutlichkeit an Suses Haaren herum, um mir zu zeigen, was der Friseur angestellt hatte. »Alles zu kurz. Die Stufen stimmen überhaupt nicht. Und die Farbe ist viel zu dunkel.« Dann fielen alle drei wieder schluchzend ineinander.

Ich nahm ein Stück figurneutralen Harzer Käse aus dem Kühlschrank und aß es in dem Bewusstsein auf, eine ausgesprochene Ekelspeise meiner Jugend dem Geschmack nun genauso lang gereifter und wahrscheinlich bereits ähnlich aromatisch riechender Männlichkeit hinzugefügt zu haben. »Was ihr nur habt«, wandte ich mich dann kauend und tröstend dem Friseuropferbund wieder zu, »in einem halben Jahr ist das wieder herausgewachsen.« Das entsetzte Gekreisch, was nun folgte, hörte sich an wie ein Pack iranischer Klageweiber mit Zahnwurzelentzündung bei einem Konzert von Tokio-Hotel.

»Sie wollte Strääääääähnchen, verstehst du das nicht?«, schrie meine Frau. Doch, ich verstehe das. Der tolle Vorteil der Frauen, sich mittels ihrer Frisuren quartalsweise komplett verwandeln zu können, wird doch empfindlich geschmälert durch eine gewisse, diesem Verwandlungsprozess innewohnende Unvorhersehbarkeit. Wären Friseure Busfahrer, könnte man das Erreichen des Hauptbahnhofes nur in Wahrscheinlichkeiten und Streuungsbreiten angeben. Und wären Friseure Nierenärzte, würden den Kolikpatienten öfter mal statt der Steine die Kniescheiben fachgerecht zertrümmert.

Doch es ist nicht der Coiffeure Schuld allein. Offenbar taugt der weibliche Wortschatz nur ungenügend, um das zu beschreiben, was eine Frau am Ende im Spiegel sehen will. Hier rächt sich, dass Frauen nur die Sprache der Gefühle zu sprechen verstehen. Während ich mit »Hinten und an den Seiten neun Millimeter!« selbst bei sehr auffassungsschwach vor sich hin schnippelnden Friseuren Wunschergebnisse erziele, müssen die Frauenhaarschneider immer nebulöse Angaben von Glanz, Spannung und Volumen hier und da in Schnitte und Wickler umsetzen.

Mitleid weitete mein Herz. »Kannst ja in der Zwischenzeit ein Kopftuch umbinden, Suse!« »Das ist verboten«, schluchzte Suse viel zu dunkelviolett und ausgefranst vor sich hin, »ich bin doch Lehrerin.«♦

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Der Heimweg als Martyrium

Stefan Schwarz über antiorthopädische Trippelschritte mit Kleinkindern

Heimweg als Martyrium WENN ICH EINES TAGES vom Familienministerium gebeten würde, einen Test über die Fähigkeit zur Kinderaufzucht bei, sagen wir, Akademikerinnen um die Dreißig zu entwickeln, würde er so aussehen:

Binden Sie sich mal die Füße zusammen, so daß Sie nur Trippelschritte machen können, und nehmen Sie in die eine Hand, auch wenn das kaum zu greifen ist, einen kleinen dicken Rucksack, eine lebensgroße Sonnenblume aus Holz, zwei wichtige Tuschkrakelbilder und eine Trinkflasche, und dann knicken Sie auf der anderen Seite seitwärts ab, so daß ihre freie Hand ungefähr einen halben Meter über dem Boden ist. Bleiben Sie in dieser Haltung fixiert und gehen Sie, nein trippeln Sie wenigstens eine Dreiviertelstunde, währenddessen Sie alle zwei Minuten eine Minute in dieser abgeknickten Position stehenbleiben…

An dieser Stelle können Orthopäden vor Tränen nicht mehr weiterlesen und selbst hartgesottene Physiotherapeutinnen müssen jetzt erst mal kurz ans offene Fenster und ein bißchen durchatmen. Diese orientalisch anmutende Schultergelenks-, Bandscheiben- und Kreuzbandfolter, die den ganzen Stützapparat des Menschen knirschend auseinanderbricht, ist aber nichts anderes als der Heimweg mit einem Kleinkind an der Hand vom Kindergarten nach Hause. Der Heimweg mit Kleinkind zählt zu den absoluten Herausforderungen der Elternschaft und rückt Grimmsche Hänsel-und-Gretel-Fiesheiten á la »wurden im Walde zurückgelassen …« in die Nähe einer erwägenswerten Option.

Haben Sie schon immer mal wissen wollen, ob Sie beschattet werden? Gehen Sie einfach mal mit einem Zweijährigen durchs Stadtviertel, wenn Gänseblümchen und Löwenzahn in unübersehbarer Zahl zum Ausreißen auf den Wiesen stehen und Gehäuseschnecken mit verblüffend anstupsbaren Fühlern übers Pflaster schleimen, wenn glitzernde Kronkorken und silbrige Zigarettenpapierreste einzig zu Sammelzwecken ausgestreut scheinen. Wenn überhaupt eigentlich jeder etwas größere Kiesel eine derart ungewöhnliche Form hat, daß er gar nicht genug bestaunt werden kann, wenn eine tote Hummel am Rasenstein mit einem Stock gewendet und auf ihr tatsächliches Totsein überprüft werden muß und derselbe Stock phantastischerweise auch noch Klickerklackerbingbang-beng-Musik am Gitterzaun macht. Sie müssen gar nicht um sich äugen, ob irgendein verdächtiges Subjekt folgt, sie müssen nur warten, bis irgendwann nach ein paar hoffnungsfroh gelaufenen Metern das Kleinkind zum 483. Mal stehenbleibt, etwa, um zwei niedliche Feuerwanzen beim putzigen Liebesspiel zu beobachten, und hinter Ihnen ein Mann in unpassender Regenbekleidung eine 45er Magnum aus der Achsel holt, dem Fratz an die Stirn hält und heiser brüllt: »Schluß jetzt mit den Faxen!! Hier gibt es nix zu glotzen!! Mach, daß du vorankommst!!! Und zwar dalli!!«

Das Wundervolle an diesem Vorfall aber ist nicht, daß Sie jetzt, wo Ihr Knirps verdutzt aut die Mündung der Riesenwumme schielt, endlich wissen, daß Sie überwacht werden, sondern. daß um Sie herum ein paar Dutzend Erwachsene neben ihren Kleinkindern stehenbleiben und Beitall klatschen oder »Bravo!« rufen.♦

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Vor Neid zerknittert

Stefan Schwarz zürnt dem sprachgesteuerten Gigaplasma-Schwager

MAN GLAUBT ES JA KAUM, aber auch Geschwisterkonkurrenzen ändern sich. Früher war ich bloß der kleine Bruder. Heute bin ich der jüngere. Natürlich fahre ich da gerne zu einem weiteren Geburtstag meiner Schwester. Andererseits wird das Haus meiner Schwester von einem gefährlichen Mann namens Schwager bewohnt, der nur darauf wartet, daß ihn jemand wie ich arglos besucht.

Ich blickte mich furchtsam um, aber auf den ersten Blick schien in der Wohnung meiner Schwester alles beim alten zu sein. Der Schwager verabreichte ein an Selbstversuch grenzendes Mixgetränk und deutete dann doch mit dem Kopf zum Arbeitszimmer, das nach frischem Plastik roch. Als wir drin standen, sprach er zu mir: »Sag mal: An!« Ich ahnte schon, daß gleich etwas absolut Spektakuläres geschehen würde, aber ich sagte trotzdem mutig: »An!« Der neue Computer blinkte auf und startete. »Sprachgesteuert!« sagte mein Schwager mit vernichtender Selbstverständlichkeit. Ich würgte ein als Ausdruck meiner Gelassenheit völlig mißlungenes »Schönschön!« hervor.

Sprachgesteuerter Computer! Unglaublich! Ich verfüge über nichts dergleichen. Nicht mal meine eigenen Kinder würde ich als wirklich sprachgesteuert bezeichnen. Der Schwager labte sich an meiner technologischen Zurückgebliebenheit. »Textverarbeitung!« befahl er lässig dem Gerät. »Briefkopf 2!« Ich hyperventilierte leise vor Begeisterung. »Spielerei! Braucht doch keiner« keuchte ich verlogen. »Stimmt«, räumte der Schwager taktisch ein, »ist eigentlich nur was für i Leute, die beim Schreiben gern auf und ab gehen.« Da »Der-beim-Schreiben-auf-und-ab-geht« mein Indianername, mein Täterprofil und meine Kundenbegrüßung beim Teppichhändler ist, nickte ich nur noch säuerlich. Aber es war nicht zu Ende.

»So eine Funktion hätte ich trotzdem gerne noch bei dem 50-Zoll-Plasma-Flachbildfernseher«, leitete der Schwager listig über und ging, meinen Blick hinter sich schleppend, ins Wohnzimmer, wo sich Heidi Klum gerade in etwa Lebensgröße an der Stelle räkelte, wo sich früher Schwagers alter Röhrenklopper befunden hatte. Ich begann, vor Neid zu knittern, und ich hatte partout nichts dabei, um nur halbwegs zurückprotzen zu können. Warum nur hatte ich meiner Schwester den Mondkalender geschenkt?

Bis auf die Handvoll wunschgestörter Nichtbraucher muß man echten Männern eigentlich nicht erklären, daß Mediamärkte die Zeughäuser und Waffenkammern von heute sind. Und jeder Mann ist gut beraten, auf den Moment vorbereitet zu sein, in dem ein junger Schnösel im ICE wie beiläufig seinen MP3-Player auf den Tisch packt. Gut. wenn man dann sagen kann: »O, kann ich den mal sehen? Aha, das ist also die billige Version mit nur 10 Gigabyte. Reicht ja auch aus. Ich hab' hier das Gerät mit 100 Gigabyte, wo man auch Fotos und Filme draufladen kann.« Das unterlegene Männchen, so hat es die Natur eingerichtet, verschwindet dann schleunigst ins Bordrestaurant. »Hast du ihm wenigstens deine neue Digitalkamera gezeigt?« fragte meine Frau besorgt, als sie mich Volltrunkenen wieder nach Hause fuhr. »Ja, aber er hat gesagt, die Sache mit den Digitalkameras hätte er schon wieder hinter sich«, schluchzte ich los und warf mich meiner Frau in den Schoß, die deswegen alleine geblitzt wurde. ♦

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Als ich noch ein Feuerwerk war

Stefan Schwarz denkt über »Früher hast du noch…«-Sätze nach

MEINE FRAU IN NEUEN STIEFELN. Sie sah absolut phantastisch damit aus. Sie schritt wie ein Engel durch den Schuhladen: Der Mantel wehte um ihre prächtigen Schenkel, das Wallehaar wallte, und die Hüfte schlenkerte lasziv über das Gelenk, daß mir ganz FIamenco wurde. Tolle Sache das. Ich sagte es ihr aber nicht. Ich dachte, nachher kommt sie noch rübergelaufstegt und küßt mich huldvoll auf die Stirn. Und zwar von oben. Mit den Dingern war sie einen halben Kopf größer. Ich wollte den grandios aufreizenden Effekt nicht durch eine derart entmannende Geste ablöschen lassen.

Das konnte meine Frau freilich nicht wissen, und deshalb meinte sie spitz voll Schulterblick: »Früher hast du mir wenigstens noch mal ein Kompliment gemacht…« Ich atmete vielsagend ein, aber nur, um gleich wieder besonders nichtssagend auszuatmen. Sinnlos, sich zu wehren. Man redet sich nur vom Muffel zum Trottel. Gegen den Mann, der man »früher« mal war, hat man keine Chance. Für Frauen in der »Früher hast du noch«-Verstimmung kommen die Blumen immer einen Tag zu spät und die Wurst steht nur noch lieblos in der aufgerissenen Verpackung auf dem Tisch. Und selbst wenn man seine Liebste mal überraschend ins Hohlkreuz knutscht, wird man höchstens als »oller Quatschkopf« ausgelacht oder, schlimmer noch, schräg angeguckt, ob das plötzliche Schmachten nicht doch von der Tatsache ablenken soll, daß man mit der aktuellen Praktikantin Praktiken praktiziert hat.

Warum nur tun Frauen ab einem bestimmten Zeitpunkt so, als sei man früher ein galantes Silvesterfeuerwerk gewesen und heute nur ein ausgebrannter Pappkamerad? Der Vergleich enthält die Erklärung: Wenn Männer Frauen Blumen schenken, dann nur, weil sie mit ihnen leben wollen. Wenn Frauen mit Männern leben, dann nur, um Blumen geschenkt zu bekommen. Die Männer, die das natürlich nicht ahnen, steigen in der Werbephase oft viel zu hoch ein. Wer aber erst einmal Rosenblüten aufs Bett gestreut und selbstgeschriebene Gedichte verschickt und Sternenhimmel über Dächern aufgesucht hat, kann dieses Niveau unmöglich halten.

Das Herzklopfen muß ein Ende haben, sonst liegt man irgendwann beim Kardiologen. Irgendwann muß die bloße Anwesenheit des Mannes Applaus genug sein. Aber sei's drum. »Mir fehlen einfach die Worte, Schatz! Ich komme mit den Komplimenten einfach nicht mehr hinterher! Der Gelegenheiten sind so viele geworden. Ich müßte meinen Beruf aufgeben, um dich angemessen zu loben. Willst du das?« antwortete ich endlich und erntete eine hochgezogene Augenbraue.

Weil sie nun aber doch so hinreißend aussah, beschloß ich, die Schöne in den Langschäftern am nämlichen Abend mit einer Reihe von Aufmerksamkeiten auf mich aufmerksam zu machen. Ich ging mich rasieren, epilieren und vertikutieren, besprengte mich dezent mit Schwachmachessenz und warf ein Magret von Entenbrust an grüner Pfeffersauce in die Pfanne, entkorkte einen mir gleichaltrigen Burgunder und stellte die Wohnung mit Kerzen voll. Die Schönste kam und sah und aß und sprach: »Lieb von dir, aber heute nicht. Ich hatte echt einen harten Tag!« »Früher hattest du nie harte Tage«, rächte ich mich. Umsonst. ♦

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Überall Spätreifer und Kümmerlinge

Stefan Schwarz über die Lust von Eltern, ihr Kind ständig , heimlich mit anderen zu vergleichen

FAMILIE DINKELKEKS WAR ZU BESUCH. .Aber mach den Tee um Himmels willen nicht wieder so stark wie letztes Mal«, schwächelle sich Mutter Dinkelkeks auf den Küchenstuhl, und ich überlegte einen Moment, ob eine weitere Löffelspitze Roibuschkraut dazu führen könnte, daß Mutter Dinkelkeks sich nach dem ersten Schlürfen japsend ans Herz greifen und dann mit dem Kopf auf den Tisch zusammenbrechen würde. Ich entschied dann aber doch. daß ein Leben, das man für die Roibuschtee-Dosierungsforschung läßt, kein verschenktes Leben sei, und schippte noch eine Unze mehr ins Tee-Ei.

Ein heimeliger Nachmittag begann. Die Kinder hielten unerwarteterweise ihre Finger nicht in die rotierenden Knethaken, stanzten brav Plätzchen aus dem Teig (wie ihn meine Oma immer machte, seit wir ihr 1977 das neue Kochbuch geschenkt hatten) und verzichteten darauf, sich gegenseitig mit heißem Schokoguß auf Lebenszeit zu entstellen. Trotzdem sagte meine Frau am Abend. »Sag mal, Mann! Findest du nicht auch, daß unsere Tochter im Vergleich zu Dinkelkeksens Sohn…« »Sag es nicht!« rief ich. »Ich will es aber sagen«, trotzte meine Frau. »Es ist nicht recht«, wies ich sie ab und bereute, daß ich kein Kruzifix aus dem Mantel holen konnte, um es ihr exorzierend entgegenzuhalten »Ein einziges Mal noch. Dann sag' ich nichts mehr.«

Ich gab gequält nach, meine Frau holte tief Luft und sagte befriedigt: »Also unsere Tochter ist schon viel weiter.« »In Ordnung«, sagte ich, »du hast es gesagt.« Aber es war bereits zu spät. Der Damm war gebrochen. »Hast du gehört, wie er Zternznuppe zu dem Förmchen gesagt hat? Das ist ja doch wohl ein veritabler Sprachfehler. Und als er dann selbst Plätzchen ausstechen wollte und immer die anderen Plätzchen traf: Motorisch ist da offensichtlich noch nicht alles auf der Reihe…

Und so stellte sich nach und nach heraus, daß der kleine Hannes Dinkelkeks für sein Alter zu schlecht lief und aß, zu schlecht schlief und saß Meine Frau lästerte glücklich eine Viertelstunde, bis zu dem Befund, daß sogar seine Haarfarbe irgendwie nicht altersgerecht war. Nichts zu machen: Unsere Tochter lebt umgeben von Spätreifern und Kümmerlingen, die entwicklungspsychologisch abgeschlagen auf der Standspur des Lebens entlangstottern. Kein Wunder: Das heimliche, hetzerische Kindervergleichen gehört zu den suchtverdächtigen Freizeitbeschäftigungen von Eltern. Denn obschon sich im Zusammensein verschiedener Familien kaum anderes mehr aufdrängt als der Vergleich der Kinder, herrscht Allerliebst-Geflöte in allen Tonlagen. Ein gleichsam polynesisches Tabu verbietet es, den stolzen Eltern des lätzchenumwickeken Fütterkindes zu erzählen, wie man selbst die gleichaltrige Tochter in den Gebrauch von Hummerzange und Käsehobel eingewiesen habe und daß dies, sofern man auch nur Reste von Konsequenz und Kompetenz in sich habe, lächerlich einfach sei.

Im Schatten dieser Schweigemauer wuchert das Kindervergleichen natürlich um so üppiger. Und die anderen Kinder sind ja auch nicht wirklich gemeint. Man kennt das vom Fernsehbildschirm: Farben strahlen halt kräftiger vor einem besonders dunklen Hintergrund. ♦

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Der letzte Käsefaden

Stefan Schwarz muß über die Einheitsfront der Eltern nachdenken

IM ZIRKUS GAB ES GROSSES HALLO und Stehapplaus, als der magere Magier seine allzu langjährige Assistentin in den Schrankkoffer steckte, die Tür schloß, wieder öffnete und die flitterwimperäugige Altgrazie verschwunden war. »So einen Schrank hab' ich auch!« sagte ich huldvoll klatschend zu meinem Nachbarn, der mir über seiner Zuckerwatte einen verständnislosen Seitenblick zuwarf. Bei uns ist es der Kühlschrank. Ich kann reinstopfen, soviel ich will, wenn ich nach einer Weile wieder reinschaue, ist er leer.

Mein Sohn ist jetzt beinahe elf, und wir sind an dem Punkt angelangt, wo die Ernährung des Knaben im besten Wachstumsalter Formen der industriellen Mast annimmt. Die Frage heißt nun nicht mehr, was soll ich meinem Kind zu essen geben, sondern wieviel auf einmal und darf ich zwischendurch ausruhen? In unserem speziellen Fall würde sich überdies der Umzug in die Nähe einer Käserei rechnen, denn der Erstgeborene ist dem Überbacken verfallen. Und zwar in einer Weise, daß man im Anschluß an Freud durchaus von einer überbackenen Phase sprechen könnte. Man muß aufpassen, daß man keine niederländischen Miniaturen aus dem 16. Jahrhundert oder Laptops auf dem Abendbrottisch liegen läßt. sonst findet man sie mit einer zerlaufenen Gouda-Scheibe bedeckt im Ofen wieder.

Und so geschah es eines Abends, daß der vielversprechende Erbe sich den letzten Käsefaden der vierten Stulle vom Finger leckte und fragte: »Darf ich noch eine—«, und ich: »Ja! Bitte, nur zu! Solange es schmeckt«, und meine Frau: »Nein! Schluß jetzt«, antworteten. Dann war Stille. Der Verursacher sondierte das Patt der Eltern und begann, gespannt seine Unterlippe anzunagen.

Sogar die Trollprinzessin hörte auf, ihrer Püppi dauernd mit Leberwurst ein »Igittigitt Kacki« ans Bein zu schminken. Die Eltern - uneinig! Und auch noch vor den Kindern! Das Einheitsfrontgebot mag in der Arbeiterbewegung über den Zenit seiner Sinnstiftung hinaus sein. aber in der Elternschaft hat es nichts von seiner Strahlkraft eingebüßt. Die Elterneinheit ist geradezu ein Wert an sich. Man kann sein Kind zu einem der zehn meistgesuchten Verbrecher von Luckenwalde erziehen, Hauptsache, man zieht dabei an einem Strang. Meine Mutter brüstet sich heute noch: »Wir haben uns nie vor den Kindern gestritten!«, wobei ich mir immer vorstelle, wie meine Eltern spät abends ganze Plenarsitzungen abhielten, um die unverbrüchlichen Richtlinien für Montag, den 12. November 1975. abzustimmen, nur um am nächsten Morgen nicht in der Detailfrage, ob ich wirklich Omis knallgelbe Strickmütze aufsetzen müsse, lässig gegeneinander ausgespielt zu werden. Was im Grunde aber egal war, weil ich schon beim Auspacken von Omis Geschenk beschlossen hatte, Omis knallgelbe Strickmütze »weiß nicht mehr wo« zu verlieren.

Was war nun. fast zwanzig Jahre später, zu tun? Rausgehen, die Tür zumachen und heiser fauchend rumgestikulieren? Zwei Türen zumachen und uns anbrüllen? Unsere Blicke fochten stumm eine Viertelminute, bis ich das Kind erlöst anwies: »Okay, du darfst noch eine Stulle überbacken, aber du darfst sie nicht essen!« ♦

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Familienfrühstück

Stefan Schwarz sinniert über Stubenarrest bis zur Volljährigkeit und coole Sonnenbrillen

DIE NEUE SONNENBRILLE war jeden gottverdammten Cent wert. Und es waren verdammt viele Cents. Ich sah so verboten cool aus, daß es fast verschenkt war, damit bloß Samstag früh zum Bäcker zu gehen. Mit so einer Sonnenbrille kann man doch nicht allen Ernstes »Ja, und ich hätte dann noch gerne zwei Körnerbrötchen und ein Hörnchen, bitte!« sagen. Ich probierte es vor dem Flurspiegel mit »Gib mir die verfluchten Schrippen, oder ich brech dir gleich mal alle Rippen!« und fand es, auch vom Versmaß her, viel angemessener. Da ich aber nicht ganz sicher war, ob Frau Haschke vom Bäckerladen diesen obercoolen Sonnenbrillen-Scherz verstehen würde - zumal sich ältere, osteoporosegefährdete Frauen bei Anspielungen auf Knochenbruch immer ein bißchen schwer tun, herzlich mitzulachen - beschloß ich, den Tag lieber witzlos zu beginnen. Just in dem Moment lief mir die Stütze meines Alters über den Weg, und ich beauftragte den zum Femseher schlafschlurfenden Sohn, erst noch den Tisch zu decken.

Mit Erfolg: Als ich vom Durchwühlen der Plastiktütendeponie in der Abstellkammer kam, lag eine Tischdecke auf dem Tisch - und sonst nichts. Till Eulenspiegel saß vor der Glotze und knisterte vor Unschuld. Vorsätzliches, aber subkriminelles und darum strafunwürdiges Wörtlichnehmen und Nicht-weiter-Denken gehört zu Verhaltensfortschritten der Vorpubertät, mit denen Kinder ihren Eltern das schöne Gefühl vermiesen, die Brut sei jetzt erst mal aus dem Gröbsten raus.

Ich überschlug im Kopf die Zahl der Frühstücksutensilien, um abzuschätzen, wie oft ich ein pädagogisch-säuerliches »Na, und was fehlt denn da noch…?« hinterdrein flöten müßte, um den Tisch komplett zu kriegen. Sinnlos: In derselben Zeit, in der man die helfende Hand des Kindes persönlich lenkt, könnte man auch einem Hund das Tischdecken beibringen. Und zwar plus Serviettenfalten. (Prima Kommando für Deckrüden in der Servierhundeprüfung: »Falt, Hasso!«)

Der Sohn beobachtete jetzt betont paralysiert das japanische Glitzeraugen-Klaffmund-Zeichentrick-Gewitter im Kasten, um mir die Chance zu geben, mit einem »Mach ich's halt selber. Geht eh schnelIer«-Seufzer die Samstagmorgenharmonie zu retten. So was klappt bei Müttern mit der Voraussagbarkeit eines Naturgesetzes. Nicht aber bei Vätern. Wenn mein Vati Samstag früh nur mit den Augen in Richtung Küchentisch geblinzelt hätte und ich nicht sofort und vollständig… ach… Ich ging erst mal Brötchen holen. »Da wär' aber was los gewesen«, murmelte ich versunken an der Ampelkreuzung. »Eine Woche Stillsitzen. Zwei Wochen Bettliegen ohne Umdrehen. Stubenarrest bis zur Volljährigkeit…« Es zupfte mich am Ärmel. »Kommen Sie, es ist jetzt Grün! Ich bringe Sie sicher über die Straße.« Ich blickte kurz nach links, wo ein einfühlsamer Knabe sein moralisches Konto mit einer weiteren guten Tat aufladen wollte. Okay, die Verkäuferin hatte auch eine etwas weniger dunkle Brille empfohlen. »Das ist aber lieb von dir! Nicht alle Jungs in deinem Alter sehen von selbst, wie sie ihren Mitmenschen helfen können«, säuselte ich und belohnte ihn fürstlich, indem ich mich noch bis zur nächsten Straßenecke an der Häuserwand und sogar am Blumenmann entlangtastete… ♦

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Grüne Farbe für Nachbars Hund

Stefan Schwarz stellt fest, daß Streiche heutzutage selten und kostbar geworden sind

DER POSTMANN KLINGELT überhaupt nie zweimal. Er klingelt exakt einmal, dafür aber jeden Tag. Dann fragt er per Türsprech, ob ich nicht ein Paket für meine Obermieter entgegennehmen könnte. Da sag ich nicht nein. Meine Obermieter holen die Postsendungen stets regelmäßig ab, obwohl ich nicht denke, daß die so georderten Dinge in der Wohnung irgendeinem häuslichen Nutzen zugeführt werden. Es sind einfach zu viele. Die Wohnung von denen ist nicht so groß. Nach meinen Beobachtungen wurde der Rauminhalt der Wohnung in den vergangenen Jahren bereits fünfmal komplett von der Post per Paket angeliefert. Ich frag' aber nicht, nachher verschwinde ich noch selber so spurlos wie die vielen Pakete.

Als es nun eines schönen Vormittags wieder klingelte, schlurfte ich in meinen grauen Jogginghosen, den Postmann mit einem quakigen »Jajaja… tschuldigung, könntense vielleicht…« nach- bzw. voräffend, an die Tür. Doch halt, es klingelte nicht nur bei mir. es klingelte oben und unten und überall im Haus. Ich riß die Tür auf, rodelte das Geländer hinunter und stürzte hinaus. Vor mir liefen drei Kindlein davon. Lächerlich! Um einem Mann wie mir zu entkommen, ist es mit Davonlaufen nicht getan. Dazu muß man davonwetzen können. (Für die Leute, die aus Zeitgründen keine Kindheit hatten, nur dies in aller Kürze: Beim sogenannten Wetzen werden die Gesetze der Traktions-Physik durch den puren Willen des davonwetzenden Kindes aufgehoben. Die Füße berühren den Böden nur, um Staubkanonaden ins Gesicht des Verfolgers zu feuern. Der Schwung der Beine läßt die Fersen antreibend an den eigenen Hintern trommeln. Die Kunst des Wetzens ist freilich Ende der Siebziger untergegangen.)

Die drei untrainierten Gameboy-Knödel hatten keine Chance. Zwei hatte ich gleich am Kragen, dann einen noch in der Mitte. »Laßt euch mal knuddeln!« schrie ich die drei an. »Da habt ihr mir ja einen ganz schönen Streich gespielt! Einen richtigen Klingelstreich!« In die noch erträgliche Qual des Ertapptseins mischte sich bei den Knaben nun das schiere Entsetzen, einem Wahnsinnigen in die Hände gefallen zu sein.

Weit gefehlt! Tatsächlich ist der Jungenstreich heutzutage seiren und kostbar geworden. Wer macht sich denn noch die Mühe, heimlich unter der Bank Schnürsenkel zusammenzubinden? In einer Welt der Beleidigten und Ernstgenommenen, wo die Kriminalpolizei das Wohngebiet absperrt und der Bundesmobbingbeauftragte mit dem Hubschrauber einschwebt, wenn irgendwo Zahnpasta hinter einer Klinke gefunden wurde, hat die Spitzbüberei schlechte Karten. Wer aber sein halbes Leben den dringenden Wunsch unterdrücken mußte, Nachbars Hund grün anzumalen, kann man dem verdenken, wenn er beruflich nichts zu Wege bringt, am Weib versagt oder sogar seine Ernährung umstellt? (Hinzu kommt: Es ist ja nicht der Wunsch an sich, sondern es gibt Hunde, die das provozieren!) Nur im Streich kann der Mensch lernen, kreativ zu mißachten, statt immer gleich alles kaputt zu kloppen. »Noch besser ist es«, zog ich die Jungs verschwörerisch an mich. »wenn man Kaugummi über die Klingeln klebt. Aber nicht jeder Kaugummi ist dafür geeignet. Man muß also jede Menge experimentieren!« Die Knaben leuchteten auf und sahen sich um. Rundherum war alles voller Klingeln. ♦

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Die Trollkriegerin

Stefan Schwarz über den Versuch, sein geliebtes, mit Schrauben angereichertes Düsentriebwerk ins Bett zu bringen

UNSER FAMILIENFRIEDEN war bedroht, seitdem mir beim Durchqueren einer Junggesellenabschiedsparty im ICE eine nicht richtig eingewiesene Stripperin einen Slip in die Jackentasche gejubelt hatte. So kehrt man besser nicht von einer Dienstreise zurück, aber dank des Großen Vaterländischen Trollkriegs hatten wir bald andere Sorgen.

Er kündigte sich an, als meine Frau mit der Trollprinzessin auf dem Arm und den Worten »Ich leg sie jetzt hin!« verschwand, aber erst nach zwei, dann drei und schließlich nach vier Stunden wiederkam bzw. ins Doppelbett kroch, wo ich tief schlummerte. Aber nur, um nach fünf Minuten ins Kinderzimmer zurückzuspringen, wo eine Kreissäge angeschaltet worden war. Hinzu kam, daß meine Frau um die Augen rum Horst Tappert ähnlich zu sehen begann, was mich insofern verstörte, da ich Horst Tappert nur als Schauspieler, aber nicht als Frau schätze. »Was macht ihr da eigentlich abends immer?« erforschte ich meine übermüdete Frau. »Wir bauen aus Kissen das Gute-Nacht-Geschichten-Vorlese-Nest. dann lesen wir fünf Gute-Nacht-Geschichten, dann sagen wir der Katze, den Fischen und der Fingerblattpalme Gute Nacht, machen die Gute-Nacht-Akrobatikrolle, holen das Gute-Nacht-Wasserglas und…« (Alles in allem war es ein Ritual, gegen das die japanische Teezeremonie wie eine Improvisation alzheimerkranker Anarchisten aussah.) Das mußte ein Ende haben.

»Ich übernehme das mal!« sprach ich männlich und schickte die Liebste mit einer Freundin ins Kino, um sich den neuen Derrick-Zeichentrickfilm anzuschauen. Mein Plan war genial einfach. Ich würde der teuflisch fordernden Trollprinzessin eine einzige Geschichte vorlesen und sie dann ins Bett stecken, rausgehen und nicht wieder reingehen. Ein guter Plan, der freilich nicht berücksichtigte, daß Kinder, zu denen man nicht mehr reingeht, ab einem bestimmten Alter einfach rauskommen. Die Trollprinzessin jedenfalls schnipste aus dem Bett, als wäre sie mit Gummibändern an mir festgezurrt. »Eine allerallerallerletzte Geschichte… klagte sie.

Ich brachte sie mit beruhigenden Worten wieder ins Bett zurück. Ich hatte die Tür noch nicht ganz geschlossen, als sie wieder aufsprang und die Trollprinzessin mit einem herzzerrreißenden Allerletztenallerlei auf mich eindrang. Jetzt wäre es an der Zeit gewesen, »Ins Bett, sonst…!« zu rufen, aber in einer gevvaltfreien Erziehung haftet solchen Drohungen immer die Lächerlichkeit nicht zu haltender Versprechen an. Und die Trollprinzessin schien das zu wissen. Ich legte sie wieder hin. Die berühmte Kreissäge verwandelte sich in das Düsentriebwerk einer Concorde, in das man eine Schaufel Schrauben geschippt hatte, und dann in einen mit Diamantköpfen besetzten Tunnelbohrer, der sich in einem Granitblock festbiß.

Es war sinnlos. Die ins Bett zurückgebrachte Trollkriegerin überwand die Gitterbettsperren mit Eskaladiergewandtheit eines Einzelkämpfers, um eine letzte Geschichte und nach der letzten Geschichte eine weitere letzte Geschichte zu hören. Inmitten dieses Tohuwabohus aus Geschrei und Türgeklinke stand plötzlich ein Polizist, den ich sofort packte und mit freundlichen Worten ins Bett steckte und fest zudeckte. Der Polizist aber strampelte sich frei, wie er es in der Ausbildung gelernt hatte, und erklärte mir, wie er einst die Türklinke am Zimmer seines Sohnes mit einem Stuhl und einem Besen verrammelt hatte.

Gegen halb zwei in der Nacht, als ich mit schlotternden Knien und freundlich stammelnden Worten die Trollprinzessin zum 73. Mal ins Bett brachte, merkte ich kurz darauf, daß sie eingeschlafen war. Wohl nicht aus Erschöpfung, sondern - wie es aussah - aus Langeweile. Zermartert lag ich im Bett, als meine Frau sich über mich beugte und flüsterte: »Mein Held! Was dir an Geschick fehlt, machst du wenigstens durch Ausdauer weit…« ♦

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Unordnung macht glücklich

Stefan Schwarz über Immanuel Kant und die exquisite Sinnlosigkeit des Reinemachens

»SCHAUMA: Bin ein wunnerschönes Määädchen!« Die Trollprinzessin galoppiert mit einer Stoffwindel ums Puttengesicht durch die Wohnung. »NICHT-INDIEKÜCHE!« entkommandiert sich ein Schalldruck von beachtlicher Bremswirkung der Vaterbrust. Das vermummte Kleinkind stoppt gerade noch rechtzeitig am Rand des spiegelnden Sees aus weißen Fliesen, den ich eben gewischt habe. »O, Papa macht!« spricht es, und das Schicksal selbst hat sich das Kind zum Mund erkoren. Es ist bitter, aber man kann es nicht besser ausdrücken als mit diesem nur scheinbar kindlich-unfertigen Zweiwortsatz: Ja, der Papa macht. Doch sein Machen ist ohne Frist, ohne Ziel. Es ist das reine Machen, wie Immanuel Kant geschrieben hätte. Es ist das Reinemachen, wie seine Putzfrau daneben geschrieben hätte.

Unter den vielen wiederkehrenden Mühen des Laufrads namens Familie ist das Reinemachen von exquisiter Sinnlosigkeit. Anders als beim allmorgendlichen Stulleschmieren fürs Kind, das dadurch ja unentwegt größer und klüger wird, ist das Putzen völlig ohne Nutzen. Man darf gar nicht erst damit anfangen. Klar, irgendwann kommt im Leben mit Kindern der Tag, wo plötzlich irgend etwas undefinierbar Klebriges unter deinen Füßen schmatzt und kriminaltechnisch schon recht aussagekräftige Schmutzabdrücke deiner Puschensohlen auf die Dielen und Fliesen stempelt. Spätestens, wenn du dann mit zwei Froschflossen von plattgeknüllten und miteinander verpreßten Zellstofftaschentüchern, Lolliverpackungsresten und Kaninchenstroh wie ein Zirkusclown durch die Wohnung stampfst, juckt es dich nach Wischmob und Spüleimer.

Doch halt! Nimm es hin. In alten Häusern spukt es, und in jungen Familien klebt es. So ist das nun mal. Wisse, Sauberkeit ist ein Trugbild. Mit dieser elenden Sekunde der Zufriedenheit, die dir ein selbstgewischter glänzender Fußboden schenkt, bist du auf dem glatten Weg zur Hölle. Schon im nächsten Moment wird dein Werk mit Füßen getreten werden, und zwar mit kleinen Tapse-Füßen, die vorher draußen auf der Straße bloß ein mini-bißchen Hundekacke übersehen haben. Und so wirst du mit jedem Wischen unwirscher werden. Im Baumarkt bleibst du plötzlich interessiert vor dem Holzschild stehen, in das irgendwelche vom Haß verzitterten Lötkolben-Grobmotoriker »Haxen abkratzen!« geschmort haben. Dann ist es Zeit zu bedenken: Eigener Seuchenherd ist Goldes wert. Unordentliche Menschen sind glücklicher. Wenn sie sich nicht gerade mit einer Lebensmittelvergiftung in ein Badezimmer schleppen, dessen Anblick allein schon Brechreiz auslösend wirkt, oder sich mit einem Milbenasthma-Anfall auf der fleckigen Couch zwischen den muffigen Kissen hin und her wälzen, haben sie jede Menge Spaß. Sie nutzen die viele Zeit, die sie sich vom Reinemachen ersparen, um gemeinsam Halma oder Dame zu spielen, auch wenn die verbummelte Hälfte der Spielfiguren durch angestaubte Gummibärchen oder irgendwo abgefallene Kontermuttern ersetzt werden muß. Da lachen sie lauthals drüber und verschütten dabei ein bißchen Brause auf die alten Socken, die unter dem gesprungenen Glastisch verrotten.

Bis schließlich, wie bei uns, eines Tages das Telefon klingelt und die Eltern ihren Besuch ankündigen… ♦

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»Du bist für mich Luft«

Stefan Schwarz bekennt sich zur Beziehungsroutine und bekommt einen Waschlappen ins Gesicht

ICH BIN NUN NICHT MEHR in dem Alter, in dem man vor Erfahrungshunger mit den Füßen wippt. Die meisten Erfahrungen habe ich schon gemacht oder zumindest davon gelesen. Meine Tage verlaufen erwartungsgemäß. Das ist aber genau der Punkt, an dem das Wohnen aus dem Wortstamm dicke Wurzeln schlägt und zur Gewohnheit wird. So ging ich unlängst nach dem Zähnebürsten aus dem Bad und löschte das Licht, als ein durchdringendes Murren ertönte, welches sich durch ein kurzes Intermezzo von Gurgeln und Spucken zu einem lauten Schrei fortentwickelte. Ich drehte grübelnd um, schaltete das Licht wieder an und öffnete vorsichtig die Badezimmertür, was nicht verhinderte, daß ich einen Waschlappen ins Gesicht bekam. Meine Frau stand mit Schaum vorm Mund am Spiegel (was aber ursächlich mit der Zahnpasta zu tun hatte) und klagte: »Ich bin wohl völlig Luft für dich?« Ich bejahte unschuldig. »Du bist für mich Luft, aber nur die Art von Luft, die ich zum Leben brauche.«

Da meine Frau ungewöhnlich gut koordiniert ist und mich mit Gegenständen bis etwa 30 Kilogramm (also nicht nur Waschlappen, sondern bei Bedarf auch -becken) auf alle Entfernungen, die ich in der Kurze zu sprinten imstande wäre, zuverlässig trifft, zerbiß ich mir eine Reihe von ähnlich begnadeten Repliken auf der Zunge und versuchte eine erste Erklärung. »Ich bin sonst immer der Letzte im Bad, und der Letzte macht das Licht aus.« Mein Leben verlaufe in so eingefahrenen Gleisen, daß jeder überfahren würde, der sich mal zufällig dazwischen stelle, meinte sie. Tatsächlich gibt es einige mir eigentlich nur halbwegs bekannte Menschen, die von mir ausgiebig und feucht zum Guten Morgen geküßt wurden, weil sie besuchshalber ungekennzeichnet (orangefarbene Plastejacke, Warndreieck, Rundumleuchte) auf dem Frühstücksplatz meiner Frau saßen. Ich hab' sogar mal meinem Chef ein barsches »Und benimm dich!« hinterhergerufen, bloß weil ich ihn mit dem Auto mitgenommen und zufällig in der Nähe des Kinderspielplatzes abgesetzt hatte.

Das ist natürlich etwas peinlich, aber andererseits entlasten automatisierte Handlungssequenzen das Hirn, und mein Geist hat wahrlich Besseres zu tun, als bei jedem Schnullt gegenwärtig zu sein. Und doch hatte auch meine Frau recht, denn gerade in gut geführten Haushalten kommt es schnell mal zu Routine-Exzessen. Ich habe nämlich auch schon gewaltig Krach geschlagen, weil das Brötchenaufschneidemesser »weg« war. Es lag dann doch - freilich unauffindbar für den Tunnelblick eines Mannes vom Tischsittendezernat - nur auf der anderen Seite vom Brötchenkorb. Eine kluge Frau nimmt so was selten wirklich übel - eben solange sie selber noch vom Inventar ausgenommen ist. Wehe jedoch, wenn man ihr auch nur beim Verlesen des Einkaufszettels nicht mehr Wort für Wort an den Lippen hängt oder nicht just in dem Moment Kaffee nachschenkt, wenn sie die leere Tasse abstellt. Die Zeitungsmeldung, daß der Dritte Weltkrieg ausgebrochen ist, kann warten, eine geliebte Frau nicht. Dabei bin ich treu wie Gold und sehe andere Frauen nicht mal an. (Okay, es sei denn, sie haben außergewöhnlich gepflegte Fingernägel oder einen Silberblick oder ein entzückendes Diastema, tragen schulterfreie Futteralkleider, laufen die 400-Meter-Hürden unter einer Minute oder sprechen norddeutsch, eben der ganze erotische Kleinkram, an dem sich die reife Libido des erwachsenen Mannes ausspinnt, wenn sich die üblichen »Sekundärmerkmale« mal ausfasziniert haben.) »Du mußt dir einfach so'n Infrarot-Lichtschalter ins Bad bauen, dann kann das nicht mehr passieren«, riet mir der in der Routineproblembekämpfung wesentlich routiniertere Schwiegervater. ♦

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Glatzenlüge

Stefan Schwarz fühlt sich als Löwe ohne Mähne

WENN ICH AUSGEHE, komme ich immer wieder zurück. Anders meine Haare. »Na, da kommt ja schon ein bißchen das Knie durch«, flötete meine Friseuse spitz, als sie mit dem Handspiegel um die rückwärtige Seite des Mondes kurvte, und ich beschloß, endlich mit der Unsitte des Trinkgeldgebens Schluß zu machen, »Du hast ja eine Narbe am Hinterkopf«, sagte mein Sohn, als ich vor ihm kniete, um ihm die Doppelschleife am Stiefel zu richten. Und auch das Geräusch, das meine schultersitzende Tochter mit ihren Patschehändchen auf meinem Kopf verursachte, wurde von Monat zu Monat heller, irgendwie klatschender. Na, ich dachte mir schon so was, als die abgelaufene Badewanne wieder einmal wie der Trog einer Filzmacherwerkstatt aussah, doch ich flüsterte mir noch zu: Lieber Gott, laß es vom Wadenschrubben sein! Dabei ist es doch noch gar nicht so lange her, daß meine Mutti zu meinem Vati in der Sauna raunte, ich würde jetzt wohl langsam ein kleiner Mann. (Sie behielt übrigens doppelt recht.) Und jetzt geht es schon wieder abwärts? Isses schlimm? Ja doch! Je mehr sich mein Haupthaar lichtet, um so mehr verdüstert sich meine Stimmung. Und schon gar nicht will ich irgendwie beruhigt werden. Es ist ja allerlei tröstendes Gewäsch für die Kahlbutze im Umlauf. Bessere Liebhaber und so was. Das sind doch ganz billige Kompensationsversprechen. Blinde sollen ja auch feiner hören. Ich will aber kein besserer Liebhaber werden. Ich will meine Frau nicht mit betörenden Techniken irre machen, während die Diskokugel auf meinem Hals das Schlafzimmer mit Mondlichtreflexen bestreut. Ich will morgens nach einem ganz und gar unerheblichen Durchschnittssex mein volles Haar striegeln, daß die Schuppen stäuben.

Von allen jedoch die demütigendste Beschwichtigung ist, daß es Frauen völlig gleichgültig wäre ob ihr Löwe eine Mähne hat. So sind aber Frauen nicht. Ich kenn die doch. Genauso wie es die weibliche Penislüge gibt, gibt es auch die weibliche Glatzenluge. Nur Einfaltspinsel denken, daß es nicht auf die Borsten ankommt. Sicher, jede Frau kann mindestens ein Beispiel anführen, wie einmal ein Mann mit dichtem Scheitelfell sich als Schurke oder auch als Gurke entpuppte, aber was sagt das über die Qualität der Exemplare mit degeneriertem Behaarungsvermögen aus? Höchstens, daß vom Genpool oben entblößte Männer mehr innere Stärke trainieren müssen, um nicht vor jedem Spiegel flennend zusammenzubrechen.

Das führt uns zu einer anderen Frage: Kann man in Würde verglatzen? Ich sag' gleich mal: Nein. Reden wir doch offen, wir sind hier schließlich nicht in Japan: Alle Versuche, die zunehmende Versteppung der Schädelvegetation, irgendwie stilvoll zu begleiten, wirken ebenso verkrampft wie ohnmächtig. Da haben wir den mongolisch gesinnten Hirnschalenrasierer, der wegen dreier desertierter Soldaten gleich das ganze Regiment hinrichtet. Oder seinen Widerpart, den Fransenarchivar, der die kostbaren Überbleibsel um so liebevoller pflegt und oft noch länger wachsen läßt, als wären einmal einhundert Zentimeter dasselbe wie einhundertmal ein Zentimeter. Nicht zu vergessen die Schar der Kappen-, Schlappen- und Attrappenträger, die plötzlich entdecken, daß es hochmodische Kopfbedeckungen für eigentlich jede Jahreszeit und jeden Anlaß gibt. Meine geringfügig kleinere Frau ahnt von den Problemen, die sich ganz oben auf dem Haupt ihres Mannes anbahnen, jedenfalls noch nichts. Denn wenn ich mit dem Glühlampeneinschrauben fertig bin, hänge ich die Gardinen auf oder wische auf den Schränken Staub… ♦

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Vorbestrafte Blicke

Stefan Schwarz hat das Gefühl, daß man Kindern nicht zu viele Fragen beantworten sollte

ES IST NICHT GUT, wenn man zuviel mit Kindern spricht. Insbesondere ich habe meinem Sohn sicher zu oft Auskunft und Erläuterung gegeben. Dann passiert so was, daß der aufgeweckte Knabe mit mir nach dem Brötchenholen die Kaufhallenrampe runterschlittert und seinem ausgestreckten Finger hinterherschreit: »Guck mal, Papa! Da sind wieder die Alkoholiker!! Die, die nichts geworden sind, weil sie in der Schule faul waren! Stimmts?!« Die Männer, die am Geländer vor dem Getränkeladen ein erstes Samstagmorgendosenbier verzehrten, guckten gleich noch mal so vorbestraft, und ich zerrte das täppische Kind um die Ecke. »Hör mal, das muß man ja nicht in der Gegend rumschreien«, erzog ich ihn gereizt zur Heuchelei, während ich mir vornahm, bei seinen nächsten verschlampten Hausaufgaben ein garantiert ortsfremdes Beispiel zur moralischen Ertüchtigung zu wählen. »Eh!« beruhigte mich mein Sohn, »du kannst doch Uki Goshi!«, und in seinem Gesicht leuchtete schon die Bild-Zeitungsschlagzeile »Judokreismeister von 1976 tötet in Notwehr sieben alkoholkranke alte Männer mit Hüftwurf!«

Mit Kindern in der Öffentlichkeit unterwegs zu sein ist ein bißchen wie mit offener Hose auf die Straße zu gehen. Manchmal geht's gut, aber meistens nicht. Das Problem ist nämlich zweigeteilt: Erstens kennen moderne Kinder (ich betone: moderne Kinder, also vom ersten Windelwechsel an voll stimmberechtigte Menschheitsmitglieder mit angeborenem Weltjugendsprechermandat, nicht diese schüchternen Bleichstengel, die wir selber waren) den Unterschied zwischen Heimsprech und Fremdsprech nicht, und zweitens werden Kinder meistens mit grob faßlichen Märchenerklärungen abgespeist, die der etwa zehnsekundigen Aufmerksamkeitsspanne von Super-RTL-Zuschauem angemessen ist. So was geht draußen in der komplexen Interdependenz natürlich regelmäßig gegen den Baum. Nachher denkt noch einer, man rede wirklich zu Hause so, was freilich um so peinlicher wirkt, wenn es tatsächlich so ist.

Ich bin mir sicher, daß Saddam Hussein nie mit seinem Sohn zusammen einkaufen gegangen ist, weil der kleine Iraki-Racker sicher urplötzlich und aus der Kalten den Dattelverkäufer angeplapppert hätte: »Weißt du was, Onkel Dattelverkäufer? Mein Vati plant einen Angriffskrieg gegen den Kuwait! Morgen früh geht's los!« Bums! Der Diktator und der Dattelverkäufer hätten sich einen Moment verkniffen angesehen, die Leibwache hätte die Kalaschnikows unmerklich in Richtung Dattelstand justiert, aber dann hätte Sadam Hussein endlich losgeplauzt: »Herrje, Kinder!!« Und sofort hätte der Dattelverkäufer beflissen gesagt: »Ja, Kinder! Da staunt man manchmal, nicht wahr!!« Und selbst die Leibwache hätte zwei »Diese Kinder, also nein!!«-Lachsalven abgefeuert, sich demonstrativ noch einmal in die Rippen geboxt, und der Präsidententroß hätte sich wieder sehr langsam, sehr behutsam weiterbewegt, nicht ohne daß der Diktator seinem Sohn »aus Versehen« auf den großen Zeh getreten wäre.

Andererseits hat Kindermund auch eine gute Seite. Man kann ihn als Waffe gebrauchen. So waren diesmal Mutter, Tochter und Sohn gleichermaßen fröhlich, als sie vom Spielplatz wiederkamen, wo meine Frau vor Tagen einen unschönen Streit mit einer geizigen Eisenmutti um ein unschuldig entwendetes Sandförmchen gehabt hatte. »Wir haben wieder die Frau getroffen, die nach der Schwangerschaft ihr altes Gewicht noch nicht wiedergefunden hat«, tönte mir stolz mein kluger Sohn entgegen, und meine Liebste grinste teuflisch. ♦

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Spielwut

Stefan Schwarz liebkost seine Frau und wirft nur manchmal mit Schuhen

MEINE FRAU UND ICH SIND EIN LIEBESPAAR. Da ist nichts zu machen. Es ist ein Gekuschel und Geschmuse bei uns daheim, daß einem ganz wuschig wird. Ich muß mir meine rechte Wange schon immer mal mit Franzbranntwein einreiben, damit ich sie mir abends im Schoß meiner Frau nicht wund liege. Manchmal schläft die Angebetete auch beim Fernsehen ein. und dann erhebe ich mich leise und trage sie zärtlich zu Bett, damit sie nicht noch mal aufwachen muß. Na gut, das war jetzt ein bißchen gelogen. Natürlich könnte ich meine Frau irgendwie ins Bett schleppen, aber das Schlafzimmer dürfte nicht weiter als drei Meter vom Wohnzimmer entfernt und müßte auf geradem Weg erreichbar sein, und außerdem sollte sie vorher wirklich sehr schwere Schmerz-und Betäubungsmittel bekommen haben, damit die Holde beim Umreißen der Stehlampe und dem Anrempeln der Türen nicht doch noch aufwacht.

Aber ansonsten geht es bei uns zu wie bei Mireille Matthieu im Schlager. Und das aber nicht zwei Minuten dreißig, sondern 23 ½ Stunden am Tag. Die übriggebliebene halbe Stunde hat es allerdings in sich und umfaßt für gewöhnlich die Endphase gemeinsamer Sport- und Familienspiele. Kurz gesagt: Wir können beide nicht besonders gut verlieren! Eigentlich können wir beide überhaupt nicht verlieren, was auch psychologisch ungeschulte Naturen zweifelsfrei und von weitem erkennen können. Außenstehende sind von diesen Wutausbrüchen ohnehin oft unangenehm berührt. Wobei Unangenehmberührtsein sicher nicht ganz präzise die Empfindungen des im Unterholz herumschnüffelnden Hundes beschreibt, der im Sommer meinen Tischtennisschläger abbekam, den ich nach einer unverzeihlichen 24:22-Niederlage gegen meine Frau ins Gebüsch feuerte. Anders als es das Sprichwort vorschreibt, bellte der getroffene Hund aber nicht, sondern machte ein seltsam fiependes Geräusch das ahnen ließ, daß sich das mit dem Gassi-Gehen nun ein für allemal erledigt hatte. (Dagegen war der Hundebesitzer völlig außer sich, wie Hundehalter ja sowieso dem Zerfleischen und Ausbluten eines gerade gerissenen Joggers durch ihre schwerhörigen Bestien eher achselzuckend zusehen, aber sofort die Polizei rufen, wenn ihr Struppi mal falsch herum gestreichelt wird.)

Eingeweihte Bekannte von uns hingegen reagieren vorausschauender, wenn meine Frau beim Skat-Spielen zum Beispiel entgeistert auf eine von mir arglos ins Spiel gestreute blanke Zehn starrt. Ihre bestürzte Frage »Ich glaub's ja nicht! Wo kommt denn die jetzt plötzlich her?« zielt ja auch nicht wirklich auf eine Antwort, sondern ist nur eine Art verbales Luftholen, in dem der geschulte Hausfreund und dritte Mann die Rotweingläser in Sicherheit bringen kann. Denn schon mit dem furiosen »Dann können wir das auch alles lassen! Wenn du hier spielst wie ein Volltrottel« regnet ein Niederschlag aus Skatkarten und Kartoffelchips durchs Zimmer. Oft schlägt dann der Unparteiische ängstlich den Abbruch des Spieles vor, was aber nur dazu führt, daß nun wiederum er tätlich bedroht und mit erhobener Rotweinflasche gezwungen wird, noch weitere Runden Revanche mitzuspielen.

Im Grunde wäre alles ganz einfach, wenn nur der Klügere nachgeben würde. Aber wer bringt in einer solchen gespannten Situation gegenüber dem rasenden Verlierer schon den Mut auf, anzudeuten, daß er nicht nur der Bessere, sondern auch noch der Klügere ist? So müssen wir einfach ein bißchen warten, bis die Wut verraucht ist und wir uns wieder schmusend auf dem Fernsehsofa einfinden, wo meine Frau manchmal einschläft, weil wir keinen Ton zum Bild haben, seitdem ich nach dem Schachspiel einen Schuh in den Lautsprecher geschmissen habe. ♦

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Die Zornkönigin

Stefan Schwarz probt die Ganzfütterung, wird zum Krokodil und bringt seine Frau zum Seufzen

DER GRAND FRIX FÜR UNTERHALTUNGSKUNST, und zwar in sämtlichen Sparten, geht an mich. Ich nehme die Siegerschale in die vor Rührung zitternden Hände und trage sie zu meiner Frau. »Sie hat alles aufgegessen! Nix mehr drin«, sage ich. Meine Frau guckt ungläubig in den Plastikteller ihrer Tochter. Es ist die erste Ganzfüttenmg eines anderthalbjährigen Kindes in Mitteleuropa seit der großen Hungersnot von 1710, und sie wird dem Mann, dem dies gelang, heute abend jeden Wunsch erfüllen. Erinnnern wir uns: In der ebenso müßigen wie häufigen Erörterung, welches unter allen schönen Kindesaltern wohl das allerschönste sei, wird die greuliche Anderthalbjährigkeit geflissentlich übergangen.

Das hat damit zu tun, daß Kinder in diesem Alter schon recht gut befehlen können, aber leider noch keine Anweisungen entgegennehmen. Eltern anderthalbjähriger Kinder würden lieber Fidel Castro das Zigarrenrauchen und hintendran noch den ganzen Sozialismus ausreden, als ihren Sproß im Buggy an einem gerade entdeckten Luftballon-Mann vorbeizumanövrieren. Im Falle der extrem anderthalbjährigen Trollprinzessin war nur die »Gesichtswurst« ausgegangen. Dieses physiognomische Meisterstück der Brühwurstmetzgerei hatte sich ihre hochwohlgeborene Ungekämmtheit zur einzigen Abendspeise erkoren, von der sie je nach Laune zwei, nie aber mehr als drei Happse nahm. Nun aber war die »Gesichtswurst« unverzeihlicherweise alle - und kurz darauf die Mama. »Bitteschön, Ihr Zeuge!« fauchte meine Frau beim Verlassen der Küche, während das Fitzmädchen tränenspritzend auf dem Tisch lag und »Gichtwuuust« brüllte.

Ich schnitt ein Bierschinkenbrot in trollmundige Bissen und setzte mich mit der Spielkiste bewaffnet zur Zornkönigin. »Kennst du schon die kleine Raupe Nimmersatt?« klemmte ich mich mit dem beliebten Pappbuch in den nächsten Spalt Aufmerksamkeit meiner Tochter. Statt einer Antwort schleuderte ein Becher Apfelsaft der Marke Superklebrig über den Tisch. Apfelsafttriefend überlegte ich eine Hemmungssekunde lang, ob es nun nicht doch pädagogisch fair wäre, die ganze Tafel umzuschmeißen, auf dem Geschirr herumzutrampeln und zu schreien: »Du kannst mich mal mit deiner Gesichtswurst! Ab ins Gitterbett!« Doch dann erschien mit einem spitzen »Oho!« ein Clown über der Tischkante und setzte sich den leeren Becher als Hut auf. Von der anderen Seite kam das Krokodil, um sich hinter dem eitlen Clown über die Bierschinkenbrocken herzumachen. Der Clown bemerkte jetzt das gefräßige Krokodil und brachte vier Bissen im Mund der staunenden Trollprinzessin in Sicherheit, wo sie dem Schluckreflex geopfert wurden.

Dann verfiel das Wuschelchen wieder in eine puppentheaterresistente Gesichtswurstdiät. Nur die in der Rollpapiertröte und dem Zauberstrauß versteckten fünften und sechsten Bissen wurden noch im Stande äußerster Verblüffung angenommen und gegessen. Ein siebenter, der in einer Art Hütchenspiel gefunden und verzehrt werden wollte, konnte allerdings nicht mehr amüsieren. Die Trollprinzessin begehrte, »Hui!« zu machen. Das »Hui!«-Spiel besteht wesentlich aus einem Kreisflug des Kindes im Suppentopf an den ausgestreckten Armen des Vaters. Unter Außerachtlassung der Jugendamtsschrift »Gefahrlos toben mit Kleinkindern« gelang die Verfütterung des siebenten und achten Bissens im einhändigen Suppentopfschleudern. Noch zehn Minuten »Kuckuck, wo bist du?« unterm Küchenschrank, und ich hatte die letzten beiden Bierschinkenbrocken in das inmitten von Wollmäusen herumrobbende Kind gestopft. »Du mußt einfach konsequent bleiben«, belog ich meine Frau am Abend, und sie seufzte schuldbewußt. ♦

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»Die müßten mal Kinder kriegen«

Stefan Schwarz geißelt die unwürdige Behandlung kranker Männer

GERNE FAHREN WIR INS VORPOMMERNLAND. Eine Schwester der Frau bewohnt dort ein Fachwerkhäuslein mit einer künstlich angelegten Wildblumenwiese davor, die so natürlich aussieht, daß die anderen, die natürlichen Wildblumenwiesen dagegen irgendwie schäbig aussehen. Leider wissen nur ganz abgebrühte und danach noch ausgekochte niederdeutsche Trockenrasen-Botaniker, daß diese Wildblumenwiese nicht von Mutter Natur, sondern von Mutter Frauenschwester zusammengesellschaftet wurde. Deswegen latschen immer noch Bauern und Bauherrn und andere Besucher mit breiten Gummistiefeln geradewegs über die Wildblumenwiese, weil sie denken, hier habense noch nüscht gepflanzt, is ja noch alles voller Unkraut. Die Schwester der Frau schreit dann spitz aus dem Fenster:

»Um Himmels willen, der Helmblättrige Stendelwurz!«, und der Übeltäter bleibt erstarrt genau auf dem verröchelnden Stendelwurz stehen und muß mit Nachbars Hobbybagger aus dem Vorgarten gehoben werden, weil es in dem losen Grün, bei Lichte betrachtet, keinen Zentimeter gibt, worauf keine würdige Blütenpflanze wächst. Es sind doch alles Mitgeschöpfe. Diesmal aber war der Ausflug ins Grüne von grünem Auswurf begleitet. Ich war krank. Mitgeschöpfe aus dem Reich der Bakterien hatten es sich in meinen Bronchien bequem gemacht, und ich bellte schon beim Aussteigen aus dem Auto so gewaltig, daß alle Dorfköter ihre Alpha-Rüden-Ambitionen erschrocken fahren ließen. Wenn aber ein Mann in Gesellschaft krank wird, hat er nur zwei Möglichkeiten: Entweder läßt er sich nichts anmerken, lacht matt zu allen Scherzen, nippt freundlich an seinem Getränk und geht nachher leise zum Sterben in die Besenkammer, oder er bekennt, daß ihm unwohl ist, wozu ich freilich nicht raten kann, denn dann läuft ein dreistufiges Programm ab, das auch im hintersten Vorpommern seine Gültigkeit hat. Erste Stufe:

Das Verlachen. »Ach, Männer!« jubilierte die Frauenschwester herzlich, als ich erneut im Hustenkrampf am Tisch zusammenbrach. Sie zwinkerte meiner Frau zu: »Wenn die mal ein Kratzen im Hals haben, geht gleich die ganze Welt unter. Die müßten mal Kinder kriegen, was?« Ich wollte was sagen, aber weil Gefahr bestand, daß ich meiner Schwägerin dabei komplett die Naturlocken aus der Frisur husten würde, schwieg ich kurzatmig. Nachdem die ausgebreiteten Urlaubsfotos etliche Male komplett wieder vom Küchenboden aufgelesen werden mußten, beschloß die Frauenschwester, mich zu kurieren, was die zweite Stufe einläutete: Die Zwangsheilung. »Wollen doch mal schauen, was für Medizin du brauchst!« rief die Schwägerin, die von Beruf zwar Physio-, von Berufung aber eigentlich Totaltherapeutin ist, und hieß mich in die Käferstellung fallen, von wo aus sie mich einige Präparate nacheinander in die Faust nehmen ließ und heilturnerisch auf meine Extremitäten einschlug, um per Nervenreaktion herauszufinden, was davon gut für mich sei. Während ich noch überlegte, daß ich mit dieser Methode sicher auch zehn Jahre eher die richtige Frau hätte finden können (»Weißt du, ich mag dich, aber bei mir zuckt einfach die Oberschenkelnervenbahn nicht, wenn ich dich in die Hand nehme!«), erklärte die weise Schwägerin: »Alles klar. Nimm Zink und Jod und morgen…« War ich tot. Ich gliederschmerzfieberte und röhrenschleimhustete, was das Zeug hielt. Wer sich aber derart der Heilung verveigert, dem bleibt eigentlich nur noch Stufe drei: Das Vergessen.

Mit ein paar schnöden, einfallslosen Antibiotika vom Doktor bewaffnet, schlief ich durch das Wochenende, unbehelligt und verdunkelt. Die Verwandten verwandten ihre Zeit für anderes. So wurde ich gesund. ♦

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Lange Unterhosen in Öl

Stefan Schwarz kann auf spontane Fortpflanzungsangebote verzichten

IN DER DUNKLEN JAHRESZEIT, wenn viele Menschen schwermütig und jammerläppisch werden, hat meine Frau am meisten zu lachen. »Ich könnt' mich echt beölen!« prustet sie den Badezimmerspiegel voll, wenn ich morgens würdevoll vor das Waschbecken trete, und das, obwohl das echte wie vorgetäuschte Beölen ihres Leibes eigentlich in meine starken Hände gehört. Der Grund: Ich trage lange Unterhosen. Das ist sehr ungerecht. Wenn Frauen ihre Schenkel mit Blickdichten oder Fischernetzgeweben bekleiden, erwarten sie standardmäßig offene Münderund spontane Fortpflanzungsangebote.

Wenn aber ein Mann seine oft viel wohlgeformteren Beine in Langwäsche steckt, gilt das auch bei humormäßig schwer entflammbaren Menschen als Riesenbrüller. Ich seh' aber gar nicht ein, warum ich mir draußen im Winterfrost eine Reizblase anfrieren soll, nur damit ich morgens für zwei Minuten als schlafkrummer Adonis im Knappmieder durch die Wohnung schlurfen kann. »Du wirst die Motten kriegen in deinen langen Kameraden!« verbreitet meine Frau vor den Kindern grob Irreführendes über die Entstehungsbedingungen der gefürchteten Schädlingsfalter, und um mich noch ärger zu hanswursten, dreht meine Frau beim Frühstück das Radio lauter, als der Moderator die zwei, drei Plusgrade als artfremd für den deutschen Januar denunziert. Ich kann's nicht mehr hören. Für die Jahreszeit zu warm. Für die Jahreszeit zu kalt. Ich bin froh, daß ich keine Jahreszeit bin. Ich würde reineweg verrückt werden. Jeden Tag muß sich das arme Wetter was Neues einfallen lassen, aber die Herren von der Mittelwertkommandantur des Meteorologischen Dienstes stehen immer nur mit Rümpfnasen vorm Thermometer und schütteln den Kopf. Zu warm. Zu kalt. Das soll ein Winter sein? Da können wir doch nur lachen. Der Frost ist ja gerade noch so im Toleranzbereich, aber die Niederschlagsmenge… Für die Jahreszeit eindeutig zu trocken. Tut uns leid. Kommen Sie morgen wieder.

Wenn ich eine Jahreszeit wäre, würde ich an der Wetterwarte die Temperatur auf 80 Grad Celsius unter Null stürzen lassen, daß der Meteorologe, der gerade mit der Rundfunkstation telefoniert und eben wieder oberlehrermäßig die Witterung abkanzeln wollte, mit der Zunge an den Zähnen festklebt. Und dann würde ich ihm ins schockgefroren-abbröckelnde Ohr flüstern: »Sag «zu kalt«! Los, sag doch »für die Jahreszeit zu kalt!" (Meine Jugendfreundin Gaby wollte übrigens leidenschaftlich gern Meteorologin werden. Wurde aber nicht genommen. Wahrscheinlich war ihr Zensurendurchschnitt nicht durchschnittlich genug.) »Mit der bedenklichen Hosenwärme hat deine Frau aber irgendwie recht«, entsolidarisiert sich beim Nachmittagstee der Vater der kleinen Lleouisieohashae (nein, ich bin nicht auf der Tastatur eingeschlafen, das ist ein Mädchenname aus dem fröhlichen Irland - na, da werden sich später aber die Liebesbriefentwürfe im Papierkorb häufen), "die Keimdrüsen des Mannes müssen eher kühl gehalten werden, sonst leidet die Qualität des Spermas." Da stehe ich in der Küche in mollig warmen Unter- und Oberhosen und blicke durch den Flur, wo meine und seine Tochter mit Schokoladenfingern kichernd auf die Tapete krakeln, und sage sehr ruhig und sehr entschlossen: »Ich brauche kein Qualitätssperma mehr. Ganz bestimmt nicht!« ♦

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